Spanische Impressionen – Guadalupe, Oropesa, Alarcon

Guadalupe, gelegen jwd in den Bergen der Extremadura, ist mit nicht einmal mehr 2000 Einwohnern nun wirklich ein Mokchen. Aber eines mit ganz großem katholischem Kino – wegen der Virgen de Guadalupe, der schwarzen Jungfrau mit ihrem ebenfalls schwarzen Jesuskind.

Geschaffen worden sein soll die Zedernholzstatue vom Evangelisten Lukas. Im Jahre 712 hat sie – der Legende nach – ein Priester auf der Flucht vor den in Sevilla einfallenden Mauren in der Gegend von Guadalupe vergraben. Sechshundert Jahre später erschien die Jungfrau einem durchs Gebirge streifenden Schäfer und trug ihm auf, Priester an den Ort der Erscheinung zu führen und dort zu buddeln … Aus dem Schrein, der für den Jungfrauen-Fund zunächst errichtet wurde, erwuchs hernach ein üppiges Kloster, das bald als „königliches“ attribuiert wurde. Eben dort unterzeichneten 1492 die Reyes Católicos Isabel und Ferdinand (ausführlicher zu den beiden im Blättchen 12/2022) die offiziellen Dokumente für Kolumbus’ erste Atlantiküberquerung. Der Erfolgreiche kehrte später hierher zurück, um seinen Dank abzustatten.

Parador de Guadalupe

Was die Madonna anbetrifft, setzte der Vatikan 1928 noch einen drauf: Am 12. Dezember führte Papst Pius XI. eine sogenannte kanonische Krönung durch; seither nennt die Madonna eine mit Diamanten und Smaragden besetzte Krone ihr Eigen.

Alle drei, die Jungfrau, ihr Kopfschmuck und das Jesuskind, können besichtigt werden. Erstere auf Augenhöhe allerdings nur im Rahmen einer Führung. Denn üblicherweise steht die Madonna – der Allgemeinheit reichlich entrückt – in einer erhöhten Nische in der Rückwand des durch ein Gitter abgesperrten Altarraumes der zum Kloster von Guadalupe gehörigen Basilika. Die Klosterführung hingegen tangiert den Raum hinter der Nische, und dank einer pfiffigen Mechanik kann diese samt Jungfrau zum Publikum gewendet werden. Worauf der katholische Teil der Geführten einer Ohnmacht nahe ist. Während christlicher Höhepunkte allerdings, etwa in der bis Pfingsten währenden Osterzeit, wird dieses Schauspiel nicht geboten, denn zu dieser Zeit steht die Madonna unter einem samtenen, tiefroten Baldachin mitten im Altarraum.

In ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit in Gestalt heranwallender Wallfahrten erreicht die hiesige Jungfrau zwar weder ihre überseeische Schwester, Unsere Liebe Frau von Guadalupe (Mexiko-Stadt), zu der schon bis zu 20 Millionen Gläubige im Jahr gepilgert sein sollen, noch auch nur die Jungfrau von Kevelaer am Niederrhein (800.000 Pilger per annum), doch darüber sind die paar einheimischen Guadelupenser vielleicht gar nicht traurig …

Der wundervolle Parador de Guadalupe ist in den Mauern eines Spitals aus dem 15. Jahrhundert untergebracht und befindet sich in unmittelbarer Nähe des Klosters. Hat man Standardzimmer ohne Balkon gebucht und Zimmer 206 ist noch frei, lohnt ein Upgrade für akzeptables Aufgeld: Der Blick vom Balkon auf Kloster und umliegende Berge ist höchst beeindruckend. Das Restaurant des Paradors mit Tischen im von Arkaden sowie Zitronen- und Orangenbäumen beschatteten Patio ebenso wie auf einer sonnigen Terrasse war in unserem Reiseführer als „schick und leicht überteuert“ ausgewiesen. Die erstere Einstufung erwies sich als glatte Untertreibung, und unsere geschmorte Lammschulter nach extremadurischer Art war jeden Cent wert.

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Oropesa – knapp einhundert Kilometer nördlich von Guadalupe in der Sierra de la Ventosilla auf einem strategisch nützlichen Berge gelegen, von dem aus sich die weite Ebene ringsum früher kontrollieren und beherrschen ließ – ist ein weiteres Mokchen mit sehr imposantem Parador, benannt Virrey de Toledo, nach Don Francisco Alvarez de Toledo, dem einst hier ansässigen nachmaligen fünften spanischen Vizekönig von Peru.

Der Parador de Oropesa ist Teil einer Feste aus dem 14. Jahrhundert, die diesen Namen tatsächlich verdient. In unserem Zimmer im vierten Stock – der Blick vom Fenster schweift über das flache Land, über das vor 500 Jahren Feinde sich nähern mussten, – sind die Außenwände bis knapp zwei Meter stark. Geschichte wurde hier möglicherweise bis ins 20. Jahrhundert geschrieben. Ein in Deutsch verfügbares Informationsmaterial des Paradors berichtet: „Anno 1945 wohnte das […] Tafelwerk – bestürzt (sic!) – einem ungewöhnlichen Mittagessen bei. General Franco in Begleitung […]. Haben sie dort etwa den Plan Badajoz ausgeheckt?“ (Der Plan sollte die Landwirtschaft in der gleichnamigen Provinz auf Vordermann bringen.)

Im Parador laden großzügige, historisierend im Stile der Ritterzeit dekorierte Salons, die zum wuchtigen architektonischen Ambiente passen, zum kontemplativen Verweilen ein, und das vorzügliche Restaurant bietet mit einer komplett offenen Außenfront einen Ausblick bis zur nächsten, entfernten Bergkette.

Eine gut ausgeschilderte Ruta Monumental, die den bevorzugten Baustil der Renaissance- und Barock-Gebäude des Ortes begrifflich treffend auf den Punkt bringt, führt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Oropesas, meist sakraler Bestimmung (Kirchen, Konvente, Kollegien). Man schreitet sie in einer guten Stunde geruhsam ab.

Parador de Oropesa

Beim Spaziergang um die Feste schluchzt plötzlich ein Pirol, lässt sich aber im satten Grün der Mimosen- und Maulbeerbäume, des blühenden Jasmins und anderer Gewächse nicht ausmachen.

Apropos Vögel: Bis zu fünf Falken gleichzeitig kreisen bei unserem Rundgang über der Stadt. Das macht den Hekatomben an pfeilschnellen Schwalben im selben Revier natürlich nichts aus, aber die Stadttauben leben gefährlich. Ihr Gurren ist allenthalben zu hören, doch frei in der Luft sehen wir sie kaum. Und dann sind da noch die Weißstörche. Auf dem Dach der etwa fußballfeldgroßen Iglesia de San Bernardo ist kein Zimmer mehr frei. Das knappe Dutzend Storchennester ist komplett belegt und der Nachwuchs ist schon ziemlich ausgewachsen. Besonders geräuschempfindlich scheinen die Tiere nicht zu sein, denn auch direkt neben der Glocke auf dem Turm mit der Stadtuhr, die, und nicht eben leise, die Stunden schlägt – ein Storchennest.

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Das Tripel an Mokchen mit außergewöhnlichem Parador auf unserer Reise vervollständigt Alarcon. Das Örtchen ist einsam gelegen, erhebt sich auf einem felsig-kahlen Hügel und wird von drei Seiten vom Río Júcar umspült, der nicht zuletzt der kleinen, aber klotzigen Burg natürlichen Schutz gewährt. Deren Gemäuer datieren bis ins 8. Jahrhundert zurück und beherbergen heute den Parador de Alarcon. Er ist mit lediglich 24 Zimmern einer der kleinsten seiner Art, steht in Stil, Eleganz und Komfort seinen größeren Brüdern jedoch mitnichten nach. Auch im Restaurant erweist sich die Küche zu unserer vollsten Zufriedenheit.

Alarcon selbst scheint außer den ortsüblichen (hier: drei) Kirchen und einem Wanderrundkurs durch die umliegende Natur nichts zu bieten zu haben. Doch dieser erste Eindruck täuscht gewaltig. Denn da gibt es die aufgelassene Iglesia de San Juan mitten im Ort. Selbst die Kirchenglocken wurden entfernt, und kein Schild gibt Auskunft über den Namen des früheren Gotteshauses. Für drei Euro gelangt man hinein, und zunächst empfängt den Besucher eine angenehme Kühle, wenn draußen 30 Grad herrschen, und eine fast hörbare Stille, wenn man allein im Kirchenschiff weilt. Doch dann greift ein Inferno zu: großflächige Wand- und Deckenmalerei in düsteren Farben – vorherrschend sind Glutrot, Schwarz, Braun sowie ein krankes Gelb – und abstrakten Formen. Die Wirkung der Farben ist teilweise ähnlich intensiv wie auf Höllenmotiven von Hieronymus Bosch.

Parador de Alarcon

Ausgemalt sind das gesamte, bis auf zwei flache, überdimensionierte Holzbänke komplett leere Kirchenschiff sowie das Deckengewölbe. Die Bänke laden ein, sich auf den Rücken zulegen und den Blick nach oben zu richten. Mit etwas Fantasie ist inmitten der abstrakten Formen ein zweiköpfiger Drache zu entdecken. Und sollte der Betrachter gegen das Inferno ansingen wollen – vergleichbar dem Pfeifen im dunklen Keller –, dann kommt zum Erlebnis der Farben und Formen noch eine so volle, klare Akustik hinzu, wie sie manchem Konzertsaal nicht eignet.

Geschaffen hat diese faszinierende Welt der spanische Maler Jésus Mateo, der erst 23 Lenze zählte, als er 1997 mit seiner Wandmalerei in Alarcon begann. Im November 2002 vollendete er sein Werk, über das bereits während des Schaffensprozesses die UNESCO die Schirmherrschaft übernommen hat.

Und in unserem Reiseführer „Spanien“, einem detailversessenen 1000-Seiten-Trumm von lonely planet, siebte Auflage aus dem Jahre 2019 – kein Wort darüber.

Wolfgang S. aus Berlin